Freitag, 30. Juni 2017

Ekel vs. Ernst



Morgens unter der Dusche hat man viel zu viel Zeit um nachzudenken. Ich sollte mir angewöhnen zu singen, dann würde ich nicht so ins Grübeln kommen. Musik macht ja bekanntlich froh, und meine Mitbewohner bestimmt auch, weil die sich dann vor Lachen nicht mehr einkriegen würden.

Nun denn, da steh ich so da, lass mich berieseln und grübel, und grübel und spüre Ernst gegen meine Schläfen pochen, als mir aus der Wanne steigend plötzlich ein Krabbeltier begegnet. Das, mit den acht Beinen. Ich leide nicht unter einer Spinnenphobie aber eklig sind die Dinger schon, zumindest ab einer bestimmten Größe.  Erstarrt schließe ich die Augen und warne die große, fette Spinne laut, falls sie sich noch in meinem Sichtfeld befinde, nachdem  ich bis zehn gezählt habe, müsse sie  sterben.   Das dumme Ding sitzt aber immer noch da, genauso erstarrt wie ich, meine Warnung völlig ignorierend. Dem Karma zuliebe verzichte ich auf den Gewaltakt und stülpe einen Zahnputzbecher über, trockne mich ab und fange wieder das Grübeln an. Diesmal über die Grübelei an sich und Ernst. Der ist nämlich plötzlich verschwunden. Zumindest sitz er mir nicht mehr im Nacken und pocht.

„Spinne am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen!“ Tatsächlich! Nach kurzer Recherche weiß ich zwar, dass es sich bei diesem Sprichwort nicht um die Spinne handelt, sondern um das Handwerk, dennoch finde ich den Spruch meiner Ur-Oma passend. Herr Ernst wurde von Madame Pouah vertrieben. Schau ich den umgedrehten Zahnputzbecher auf dem Boden an, kribbelt die Dame mich am Haaransatz. Das wird auch nicht unbedingt besser, als ich mir die Haare bürste und meine Zähne putze und weiter grübel. Diesmal aber wie es sich so verhält zwischen dem Ernst des Lebens und Frau Ekel und, dass DER Ekel eigentlich weiblich sein sollte und Französin. Ganz klar!

Mit einem Papier verschlossen und meiner Hand gesichert trage ich den Becher wie Hochexplosives  durch die Wohnung auf den Balkon. Madame Pouah wühlt sich jetzt durch mein Haar und krabbelt mir mit spitzen Fingernägeln den Rücken hinunter, während ich die Spinne über das Geländer kippe. Besser fliegen als sterben. Madame Pouah ist mitgeflogen, Ernst hält sich versteckt und ich hab keine Zeit zum Grübeln mehr.

Donnerstag, 29. Juni 2017

Die erste Begegnung



Wann begegnen wir dem Ernst des Lebens das erste Mal? Ist die erste Begegnung vorbestimmt? Beginnt der Ernst des Lebens bei der Geburt, kaum der erste Atemzug in der kalten, grellen Welt und da steht Ernst schon?  Oder begegnen wir ihm erst im Kindergarten, am ersten Schultag, während der Abschlussprüfung, der Lehre, des Studiums oder im Berufsleben? Und wenn wir ihm begegnen, verbirgt er sich oder grinst er uns unverblümt in unser erschrockenes Gesicht?

Ich habe Ernst das erste Mal im Kindergarten entdeckt. Zumindest bewusst. Mag sein, dass er mir auch schon früher mal den Schnuller hämisch kichernd aus dem Mund gezogen hat und um sich an meinen dicken Tränen zu ergötzen. Erinnern kann ich mich daran nicht . Was die frühkindlichen Erinnerungen angeht bin ich eher Durchschnitt, die beginnen  mit drei.
Kaum drei geworden, wurde ich, wie die meisten anderen Kleinkinder ungefragt in den Kindergarten gesteckt.  Ich war eher begeistert. Die Aussicht jeden Tag mit vielen Kindern spielen zu dürfen und keine Eltern um mich herum zu haben fand ich spannend. Sehnsüchtig dachte ich an Schlammschlachten, die Einnahmen von diversen Klötzchenburgen, Dreihradwettrennen und mit richtigem Kleber kleben. Wahnsinn! Der ersehnte Morgen war gekommen und wir maschierten den Hügel vom Hochhaus hinab Richtung hell erleuchteten Bungalow. An der Hand meiner Mutter betraten ich den Tempel der Abenteuer, eine Nonne nahm uns in Empfang. Das war neu. Die schwarze Robe verunsicherte mich sehr, dennoch ließ ich die Hand meiner Mutter los und folgte  tapfer der Dame in Schwarz. Hinter der schweren Milchglastüre sah die Welt auch schon rosiger aus. Mich begrüßte fröhliches Kindergebrabbel und Kindergarten war, was ich mir darunter vorgestellt hatte. Spielen, zwischendurch vespern, wieder spielen und mit Kleber kleben. Punkt 12:30 Uhr fand mein Abenteuer allerdings ein jähes Ende. Mittagsschlaf! Ich bin mir sicher, dass Ernst in diesem Momant das erste Mal hinter dem Spielzeugregal hervor lugte und mir zuzwinkerte. Schon als Kleinkind ließ ich mir ungern etwas Vorschreiben. Außerdem machten schließlich nur Babies einen Mittagsschlaf. Leute, ich bin DREI! Nach erstem Gezeter legte ich mich auf den mit Matten ausgelegten Boden zu den anderen. Da lag ich dann, die Augen geschlossen, bemüht zu schlafen. Konnte aber nicht schlafen und setzte mich auf um das der Nonnen, die über unseren Köpfen thronte, mitzuteilen.  Durch ein kurzes abruptes Handzeigen wurde mir allerdings sofort der Mund verboten und verständlich gemacht, mich wieder auf meine Matte zu legen. Kurzer Zeit später setzte ich mich wieder auf, da ich die Sache doch gerne erörtern wollte. Es musste ja schließlich eine plausible Erklärung geben, warum ich jetzt schlafen sollte. Wieder wurde ich, diesmal durch ein Zischen, mundtot gemacht. In diesem Moment sah ich Ernst ganz deutlich hinter der Nonne stehen und hörte sein rauchiges Kichern.

"Als Kind wird gemacht was die Erwachsenen sagen! Da gibt es keine Diskussion, Erwachsene haben immer Recht! Also Mund zu, Augen schließen und schlafen!!! So sind die Regeln! Hier beginnt der Ernst des Lebens! Gewöhne dich mal besser gleich dran!"


Mein erster und letzter Tag im Kindergarten. "Ätschibätsch!"


Mittwoch, 28. Juni 2017

Wer ist Ernst?



Kaum der Wabe entschlüpft, wird der kleinen Biene Maja gesagt, dass nun Schluss mit der Träumerei sei und, dass nun der Ernst des Lebens beginnt. Momo begegnet dem Ernst des Lebens in Gestalt der grauen Männer und in der Unendlichen Geschichte wird Phantasien von eben diesem Stück für Stück durch das Nichts zerfressen.


Für mich ist der Ernst des Lebens Ernst, ein großer hagerer Mann mit leicht gebückter Haltung. Er ist König Haggard ähnlich, mit dem das letzte Einhorn Bekanntschaft machen musste. Seine Haut ist faltig und grau, seine Gesichtszüge grimmig, die Augen gerötet und unruhig. Die dünnen Arme und Beine sehnig. Meist sind die schmalen Lippen aufeinandergepresst und selten zu einem netten Wort bereit. Falls er dennoch sprechen sollte, ähnelt seine Stimme einem warnendem Knurren. Ernst mag keine Farben und ist meist in einem dunkelgrauen Dreiteiler gekleidet, seine Füße stecken in polierten schwarzen Lederschuhen. Farben, so meint er würden ihn nur vom wesentlichen im Leben ablenken. Genauso wäre die tägliche Wahl zwischen verschiedenen Kleidungsstücken Zeitverschwendung. Vielleicht sieht Ernst auch ein wenig aus wie Einstein, doch fehlt ihm das bubenhafte glitzern in seinen Augen. Ernst raucht, und das nicht wenig. Wahrscheinlich verraucht er zwei Schachteln Rothändel am Tag, was ihn aber nicht weiter beunruhigt, schließlich scheut ihn die Aussicht auf einen frühen Tod nicht. Nach Feierabend trinkt Ernst in der Kneipe am Eck sein Herrengedeck. Aber immer nur ein leicht gewärmtes Bier, da sein unruhiger Magen, die gezapfte Kälte nicht verträgt, und einen raumtemperierten Korn. Immer nur ein Bier und ein Korn. Schließlich muss er mit Ernst durchs Leben gehen. Ernst ist Notar. Wie alt er ist kann man schwer schätzen und verraten wird er es nicht. Schließlich tut das nichts zu Sache. Viele Informationen sind einfach überflüssig und uninteressant. Ernst findet sehr wenig interessant. Der Börsenbericht ist interessant und die Todesanzeigen in der Tageszeitung. Schließlich ist die Bedeutung des Lebens Vergänglichkeit. Alles ist vergänglich, vom Nichts an- und aufgefressen.


Ernst lebt vor sich hin, lebt das vorhersehbare Leben des Ernstes. Den einzigen Spaß den er im Leben hat, ist uns hämisch grinsend im Nacken zu sitzen.

03. Juni 2009 YM